Wenn Achtung die komplette Prozesskette durchzieht - über die Mitarbeiter bis hin zum Umgang mit dem Tier.
In ihren Forschungen lotet die Agrarpsychologin Anika Bolten neue Formen des Miteinanders zwischen Landwirten und ihren Mitarbeitern aus. Ein Gespräch über Fehlerkultur, Tabuthemen und eine isolierte Landwirtschaft.
Frau Bolten, kommt es gut an, wenn Sie im Rahmen von wissenschaftlichen Untersuchungen Betriebsleiter und ihre Angestellten zu Themen wie Mitarbeiterführung, Fehlerkultur und Überlastung befragen?
Mein Forschungsinteresse ist schon im wissenschaftlichen Kontext ein sehr gewagtes Feld. Auch bei Betriebsleitern stoße ich oft erst einmal auf Abwehr: "Was soll das Gerede um Mitarbeiterführung?", heißt es dann. "Morgens wird besprochen, was zu tun ist, und abends schaut man, was umgesetzt wurde." Mitarbeiterführung ist aber viel mehr als nur das. Der Abbau hoher Arbeitsbelastungen, das Aneignen von Führungskompetenzen oder der Umgang mit Fehlentscheidungen ist wichtiger denn je. Auch in der Ausbildung oder im Studium kommt das leider noch zu kurz.
Die landwirtschaftlichen Betriebe sind einem enormen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Druck ausgesetzt. Jetzt soll sich der Landwirt noch mit Psychologie beschäftigen?
Wir müssen der Ressource Mensch mehr Beachtung schenken und der Betriebsleiter selbst sollte auch immer auf sich und seine Gesundheit achten. Diese Achtung durchzieht dann die komplette Prozesskette - über die Mitarbeiter bis hin zum Umgang mit dem Tier. Wenn ich mich gut um meine Mitarbeiter kümmere und ihr Mitwirken als Schlüssel zu einer Verbesserung ansehen, lässt sich der Betrieb leichter optimieren. Dienstpläne, klare Kommunikation, professionelle Einarbeitung – daran fehlt es oft, obwohl sich das schnell in den Alltag integrieren liesse.
Gilt das nicht für viele Betriebe aus verschiedenen Branchen?
In anderen selbständigen Berufsgruppen ist das nicht so ausgeprägt. Zum Beispiel in Handwerksberufen: Dort ist man dichter am Kunden, steht mehr im Austausch, und ist auch viel mehr auf seine Mitarbeiter angewiesen. Im Gegensatz dazu lebt die Landwirtschaft häufig in der Isolation. Gründe dafür sind der überdurchschnittlich hohe Arbeitsaufwand, aber auch die räumliche Distanz mancher Betriebe zum Dorfleben spielt eine Rolle. Hinzu kommt: Landwirte und Verbraucher sprechen teilweise eine unterschiedliche Sprache, wodurch die Gräben leider immer größer werden. Viele Landwirte haben in den letzten Jahren erkannt, dass die Öffentlichkeitsarbeit fehlte und nehmen das nun selbst in die Hand.
Psychische Erkrankungen wie zum Beispiel die Depression kommen in der Landwirtschaft immer häufiger vor. Warum wird darüber so wenig gesprochen?
Zuerst muss man anmerken, dass psychische Erkrankungen heute schneller diagnostiziert werden. Allerdings wird auch stärker danach gesucht. Die Diagnose Depression beispielsweise wird von Ärzten eher gestellt als noch vor zwanzig Jahren. Man wurde früher stigmatisiert, wenn man psychisch erkrankt war. Da hieß es: "Das hat man nicht zu haben, das ist Schwäche." Heute erfahren psychische Krankheiten eine gesellschaftliche Akzeptanz und es gibt auch gute Therapiemöglichkeiten. In der Landwirtschaft ist das jedoch noch nicht wirklich angekommen. Es ist immer noch ein Tabuthema.
Was steht noch auf Ihrer wissenschaftlichen Agenda?
Ich promoviere zum Begriff der Fehlerkultur, denn der Umgang mit Fehlern läuft in Deutschland nicht gut. Da sind wir fast Schlusslicht im Ländervergleich. Wie offen ist man für Neues, für Innovation, wie offen bin ich in meiner Kommunikation? In schwierigen Zeiten sollten sich die Menschen auf Betrieben trauen, Coaching- und Supervisionsangebote wahrzunehmen. Veranstaltungen wie die Grüne Woche, die Agritechnica und die EuroTier böten sich an, Angebote zu machen und das Thema generell und umfassend auf die Agenda zu bringen.
Das klingt, als müssten Sie dicke Bretter bohren. Was motiviert Sie?
Viele Betriebsleiter laufen am Limit. Oft heißt es: "Entweder wir hören jetzt auf oder versuchen es weiter." Die Arbeit an sich ist hart, aber alle arbeiten mit sehr viel Leidenschaft. Gerade weil die Lebensmittelproduktion so existenziell ist, muss sich auch die Arbeitspsychologie und die Forschung damit auseinandersetzen. Mit meiner Forschung setze ich ein erstes Zeichen.
www.agrarpsychologie.de
Anika Bolten ist Doktorandin des Fachbereichs Soziologie ländlicher Räume an der Universität Kassel. Ihr Forschungsschwerpunkt Agrarpsychologie kombiniert Fragestellungen und Methoden aus den Agrarwissenschaften und der Wirtschaftspsychologie. Anika Bolten promoviert zum Thema Fehlerkultur.