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Wie ich hörte, ist Bernd auf Kaltblüter umgestiegen und arbeitet jetzt als Kutscher in der Lüneburger Heide.

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Lausanne
3.11.2015

Kleine heile Velo-Welt

Unveröffentlichter Text

Vor einigen Jahren gab es im Hamburger Stadtteil Bergedorf einen Fahrradladen namens Pro Velo. Er lag mitten im Ort am alten Hafen, nur fünf Minuten vom Bahnhof entfernt. Im Parterre des Fachwerkhauses reparierten die Ladenbesitzer Bernd und Rolf sämtliche Fahrräder Bergedorfs und boten in einer beachtlichen Auswahl solide, absonderliche und sportive Neuheiten des weltweiten Fahrradmarktes feil. Am Ende eines jeden Arbeitstages entlockte Bernd, der nicht nur Fahrräder reparieren, sondern auch Didgeridoo spielen konnte, den Fahrradlenkern Töne, die Rolf dann den Fahrradtypen zuordnete.

Zur Freude Bernds nannte ich ihr Geschäft Pro Velō, das heißt, ich betonte die letzte Silbe und das klang ein bisschen Französisch. Dahinter verbarg sich kein gekünstelter Stilwille. Velo ist ein elegantes und schönes Wort. Pro Velo – das war mehr als der Name eines Fahrradladens. Wie hätte ich die Betonung auf die erste Silbe legen können? Das tat mir in den Ohren weh wie das Geräusch eines Mountain-Bike-Reifenprofils auf geteerter Straße.

Pro Velo gibt es heute nicht mehr. Im Fachwerkhaus am alten Hafen berät jetzt die Gewerkschaft Fahrradmechaniker im Arbeitskampf. Als mein gutes altes Lastenfahrrad zusammenbrach, verkaufte ich mich als erstes beim Großhändler in der Nähe der Autobahn mit einem billigen Holland-Fahrrad, das ich fortan einmal im Monat beim „Bike-Store“ um die Ecke reparieren lassen musste. Der Besitzer Stefan war genauso kompetent und freundlich wie Bernd und Rolf, und sein kleiner Laden lag zentral an einer charmanten Straßenkreuzung. Gerne hätte ich mich von ihm zum Kauf eines Fahrrads verführen lassen, aber seine Modelle waren mir alle zu maskulin. Manchmal überlegte ich, ob ich nicht zu einem Geschäft namens „Fahrradladen“ wechseln sollte, konnte mich aber nicht überwinden, schon wieder eine neue Beziehung einzugehen. Außerdem strahlte mir der „Fahrradladen“ zu wenig Gegenwart und schon gar keine Zukunft aus.

Als ich dann nach Bremen kam, erkannte ich an einer Anhäufung von Fahrrädern des klassischen Stils, dass es zum Leben bessere Orte als den Hamburger Stadtteil Bergedorf gab. Mein Holland-Fahrrad war inzwischen zum Redaktionsfahrrad einer Inselzeitung avanciert und musste immer noch einmal im Monat geflickt werden.

Als ich erfuhr, dass die Schweizer ihr Fahrrad Velo nennen, wanderte ich aus, doch vermisse ich heute die Westwinde und den Regen, die einem norddeutschen Fahrradfahrer ständig zu schaffen machen.

Wie ich hörte, ist Bernd nach der Aufgabe von Pro Velo auf Kaltblüter umgestiegen und arbeitet jetzt als Kutscher in der Lüneburger Heide. Das kann ich einfach nicht verstehen, denn es muss doch viele Orte in Norddeutschland geben, die Läden wie Pro Velo oder zumindest Fahrradlenker blasende Fahrradmechaniker brauchen. Sie haben aufgegeben und das verzeihe ich ihnen nie. Denn die Liebe ist ein Fahrrad und das Leben ein schönes, ein nutzloses Spiel.